Brief aus Eckernförde – Hassos Tunnel #124

RudB_Vignette_final_2Moin, moin,
„Landwirtschaft, erneuerbare Energien, Tourismus.“ Jörns Enkelin leierte den Dreiklang ihrer beruflichen Zukunft im Norden mit Widerwillen runter, schlürfte an einem Chai Latte und schaute demonstrativ gelangweilt zur Decke. Unser Versuch das demographische Damoklesschwert durch generationenübergreifendes Coaching in seiner furchteinflößenden Bewegung zu stoppen, geriet ins Stocken. Julia ist 21, hat ein leidliches gutes Abitur, sieht verdammt gut aus, aber einen Plan? Fehlanzeige. Stattdessen: Heute Party, morgen mal gucken. Als ihre News-App die Rentenpläne der Andrea Nahles in ihr Blickfeld rückte, war es nämlich zunächst mal vorbei mit Senior-Coaching. Julia fand deutliche Worte für Nahles´ Politik, die erhebliche finanziellen Lasten auf die Schultern der nächsten Generation packt und Julia, so mein Eindruck, war sich ihres längeren Lebenshebels durchaus bewusst. Aussitzen kann wieder eine Option sein. Eine Blockade der Jungen würde die Mittelalten vermutlich extra alt aussehen lassen. Wer nicht arbeitet, zahlt auch nicht in die Rentenkasse. Ich bemühte mich um Annäherung durch Empathie. Nach einem weiteren Modegetränk auf meine Rechnung, ein bisschen Rumgetippe auf ihrem Smartphone und ebenso sanften wie offenen Fragen meinerseits, hatten wir dann die Interessenfelder der jungen Dame erreicht: Fashion and Pets. Also Mode und Viecher. Wir drehten ein paar Pirouetten um Öko-Tex und urban fishfarming. Julia kaute Kaugummi und dann, wie aus dem Nichts, erschien ein breites Lächeln auf ihrem Gesicht. Ob wir nicht irgendwie einen Kontakt zu einem Venture-Capital Typen hätten. Wobei Crowdfunding vielleicht auch ginge. Jörn wurde das nun zu bunt. „Mädchen, wofür bittesehr, brauchst du denn Risikokapital?“, brachte er unser aller Frage auf den Punkt. Die Antwort haute uns um. „Hatte einen Gedankenblitz. Pet-Piercing, krasser Trend. Versteht ihr? Tier-Tattoos und so.“ Jörn schaute mit großen Augen. Fragend. Seine Enkelin erklärte nun langsam und in wohlgesetzten Worten, sie beabsichtige ein Tattoo- und Piercingstudio für Haustiere zu eröffnen. Jörn war sprachlos. Julia war euphorisch. Ihr Plan war geschmiedet. Endlich. Noch während wir uns rat- und fassungslos anstarrten, suchte sie bereits online nach einem coolen Ladenlokal im Schanzenviertel. Fiete grinste: „Zungenpiercing für Bello und Ohrringe für die Mietze. Dagegen wird uns Massentierhaltung wie ein Streichelzoo vorkommen.“ Julia ging, ich habe ihren Chai Latte ausgetrunken. Gar nicht so übel.

Ihre und Eure Margarete Brix
P.S. Freitagabend (18.30 Uhr) Green-Screen´s Winterfilmreihe hier: „Das Haus“.
Rasmussen und die Brix: das neue Duo am Krimi-Himmel. In: Tod am Strand.
Bei emons erschienen und überall im gutsortierten Krimi-Buchhandel erhältlich.

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