Brief aus Eckernförde – Staying #102
Moin Brauweiler, ich verbleibe im Pausenmodus. Trotzdem habe ich heute Morgen die Post aus Eckernförde geöffnet.
Moin, moin,
unlängst blätterte ich in einem meiner geliebten Fotoalben, schwelgte in bittersten Erinnerungen und zuckte dann plötzlich zurück. Auf einem durch den Zahn der Zeit farblich stark veränderten Foto grinse ich mich selber an. Mein Gesichtsausdruck zeigt eine seltsame Mischung aus Anstrengung und Stolz. Beinahe kindlich. Ich trage ein rosa Stirnband, gelbe Pulswärmer und Stulpen sowie eine hautenge Leggings in Textmarker-Grün. Ich stehe. Dabei sind die Knie unnatürlich nach auflen gedreht, die angewinkelten Arme ebenfalls. Es war das Jahr 1982. Ich war 40, Jane Fonda war 45, sah unverschämt gut aus und verhalf mit ihren Videos Aerobic zum Durchbruch. Ein Trend, ach was rede ich? Ein Megatrend war das. Und heute? Kein Megatrend. Bisschen Landlust, bisschen Running und die persistierende Online-Lust. So kann das nicht weitergehen. Darum erfinde ich jetzt „Staying“. Staying ist die Reaktion der schleswig-holsteinischen Bevölkerung auf den zu erwartenden Kollaps der öffentlichen Infrastruktur. Nach dem Besuch des Outlet-Dings in Neumünster 45 Minuten vor der Rader Hochbrücke zu stehen ist out. Den Schal selbst zu stricken ist in. Mit der Aida Caralara Kap Horn zu umrunden, statt den Nord-Ostsee-Kanal zu befahren ist out. Mit dem Kanadier über die Kieler Förde zu paddeln ist in. Im Rendsburger Tunnel keine Luft zu kriegen ist out. Sandburgen am Eckernförder Strand zu bauen ist in. Und wer glaubt, er kö
nne ohne 35 Joghurt-Sorten aus halb Europa nicht leben, dem sei der Traum von Eiderstedt empfohlen. Noch Fragen? Ich laufe nicht weg. Ich staye ¥ne Runde.
Ihre und Eure Margarete Brix
P.S. Sonnabend gehe ich auf unseren Markt, lasse mich von regionalen Leckereien inspirieren und koche dann mit Hans ein Heimatgericht f¸r Marlene und die Knilche. Danach dann: Lokalrunde
Rasmussen und die Brix: das neue Duo am Krimi-Himmel. In: Tod am Strand. Soeben bei emons erschienen und erh‰ltlich ¸berall im gutsortierten Krimi-Buchhandel.