Brief aus Eckernförde – Avanti Dilettanti # 5
„Nur noch kurz die Welt retten, wenn das man so einfach wäre,“ meint Margarete Brix, unsere Urlaubsbekanntschaft aus Eckernförde. Brix ist Amtsrichterin a.D. Sie kennt in der Region Gott und die Welt. Von daher kann Brix einige Einladungen einfach nicht abschlagen, wenn sie nicht ihr jahrzehntelang gewachsenes Netzwerk gefährden will. Ein hartes Brot, wie sie heute den Brauweilern zu berichten weiß. (Illustration: Meike Teichmann)
Moin, moin,
wenn man von der Jurisprudenz und Doppelkopf einmal absieht, verstehe ich mich auf nichts so, wie es nur ein Profi tut. Insofern werde ich hier und heute absichtsvoll mit Steinen werfen, obwohl ich im Glashaus sitze. Die mit dicker Nadel gestrickten Schals wärmen, optisch sind sie eher ein Ausfall. Mein Apfelkuchen sättigt, der Konditormeister würde ein solches Produkt sicher nicht anbieten. Dennoch Schal und Apfelkuchen bleiben meine Privatsache. Suchen Laien den großen Auftritt, bringen mich diese zur Verzweiflung und wenn Nichtfachleute, gleich welchen Hobbys, auch noch von sich behaupten ambitioniert zu sein, nehme ich Reißaus. Es sei denn, die Höflichkeit gebietet es, auszuharren.
So geschah es gestern Nachmittag im Rahmen einer musikalischen Darbietung. Eine mir wohl gesonnene Mitarbeiterin der Stadtverwaltung hatte mir eine Einladung zukommen lassen. Eine Einladung, die ich nicht ausschlagen konnte. Die Honoratioren der Stadt begrüßten eine Abordnung aus Baltijsk, einer an der Ostsee gelegenen russischen Stadt, zu der Eckernförde seit 1955 freundschaftliche Beziehungen pflegt. Als Bürgerin einer weltoffenen Gemeinde, die sich stets bemüht, kulturelle, wirtschaftliche und politische Kontakte auch auf internationaler Ebene zu knüpfen, fühlte ich mich gefordert und besetzte in gespannter Erwartung einer Podiumsdiskussion über die Rolle von Baltijsk und Eckernförde im bilateralen Dialog zum Thema „Frieden und Wohlstand“, einen reservierten Stuhl in der Stadthalle. Es war 18:30 Uhr.
Nach der Begrüßung durch unseren Bürgermeister und einer freundlichen Antwort seines russischen Amtskollegen, kündigte der Vorsitzende des Kulturausschusses um 19:45 Uhr eine musikalische Darbietung örtlicher Kulturgrößen an, die sich eigens für diesen Anlass zu einer Shanty-AG zusammen gefunden hatten. Um 20.10 Uhr war es vorbei. Mir stand der Schweiß auf der Stirn. Die Russen mussten glauben, wir hätten den Verstand verloren. Ich wagte den Mitgliedern der russischen Delegation nicht in die Gesichter zu schauen. Aber dann erhob sich Applaus. Freundlicher, keineswegs peinlich berührter Applaus. Ich konnte es nicht glauben. Die Vorführung war weder musikalisch, noch tänzerisch zu unterbieten gewesen. Dachte ich. Nach etwa fünfminütiger, radebrechend simultan übersetzter Vorstellung des Veteranenchores der Fischer von Baltijsk durch Galina Pawlow, betraten gegen 20.30 Uhr 24 Männer im Alter zwischen etwa 60 und 80 die Bühne. Mindestens sieben der Vokalkünstler waren volltrunken. Ich erfuhr später, dass sie vom überhöflichen Gastgeber im Hotel zum Konsum von brennendem Fischer-Geist aus Original Eckernförder Herstellung verführt worden waren. Das Getränk hat 56 %! Ich schaute auf die Uhr, kurz nach Neun. Die Halle tobte und ich schämte mich. Gerade dachte ich, jetzt wäre es Zeit für eine Striptease-Nummer, da wurden viele kleine Mädchen eines lokalen Turnvereins auf die Bühne geschubst.
Ich schützte Kreislaufprobleme vor und verließ die Vorhölle, noch bevor die Vorturnerin erste, zweifellos bemühte, aber bedauerlich ungelenke Bewegungen zur Vogelhochzeit machen konnte.
Heute Morgen entnahm ich der Eckernförder Zeitung, dass der Besuch unserer Freunde aus Baltijsk ein voller Erfolg war und dass sich Vertreter beider Städte darin einig sind, dass man an der Ostsee auf einem guten Weg zu Frieden und Wohlstand in Freiheit sei.
Amateure retten die Welt. Ich muss umdenken.
Ihre Margarete Brix
P.S. Die Bezeichnung „Dilettant“ war übrigens nicht zu allen Zeiten eine Schmähung. Vor 250 Jahren waren es zum Beispiel adlige „Freizeitmusiker“, die sich so nannten. Man unterschied sie so wertfrei von „Berufsmusikern“.
Sehr geehrte Frau Magarete Brix,
nach gestrigen Berichten bin ich auf ihre Meinungsseite aufmerksam geworden. Mir tun die TeilnemerInnen des von Ihnen beschriebenen events doch einigermaßen leid. Da werden alte und junge Semester verdonnert sich zum Affen zu machen, um einigen Politikern, die völlig selbstlos den Weltfrieden beschwören, einen background zu geben.
Bitte werfen Sie weiter mit Steinen.
Lawinen entstehen durch eine Kettenreaktion, die durch einen einzigen fallenden Kieselstein, der seinerseits andere Kieselsteine anstößt und dabei andere mitreißt, eine Lawine auslösen kann.
Es grüßt Sie aus Hamburg
DIE SELKET
Sehr geehrte Frau Beyersdorff, liebe SELKET,
mit Lawinen kennt sich unsereins als Bewohner der Ebenen nicht besonders gut aus (Der Bungsberg in Ostholstein ist mit 168 Metern die höchste Erhebeung unseres Bundeslandes und der Scheelsberg in den Hüttener Bergen bringt es lediglich auf 106 Meter). Ihr Bild indes ist äußerst einprägsam und gern werde ich meine Meinung auch künftig verbreiten, ohne mich vor Querschlägern zu fürchten. Es ist dies der Mut einer alten Dame, die nichts zu befürchten hat. Ein befreiendes Gefühl und dem allzu weit verbreiteten Unmut unbedingt vorzuziehen.
Also rufe ich Ihnen herzlich grüßend in Hamburg zu: Rüm hart – klaar kiming!
Ihre Brix